VZS stellt online Musterbrief zur Unterbrechung der Fristen zur Verfügung
Anlässlich der Kapitalerhöhung zwischen Oktober und Dezember 2012 hatte die Sparkasse bei 5.020 alten und 5.916 neuen Aktionären bankeigene Aktien für einen Gegenwert von fast 100 Millionen Euro platziert. Der Verkaufspreis war damals mit 210 Euro je Aktie festgelegt worden; nach knapp 4 Jahren ist der Wert der Aktie heute um mehr als 50% geringer. Genauer gesagt beläuft sich der neue Referenzwert der Aktien, wie ihn die Sparkasse offiziell mitteilt, auf 12,50 Euro je Aktie; dabei ist der Aktiensplit (10 neue Aktien für 1 alte Aktie) zu berücksichtigen, der im April 2015 beschlossen wurde. Der Mindestverhandlungspreis liegt bei 10 Euro, der höchste bei 20 Euro; soweit uns bekannt ist, wurden Aktien auch um 10 Euro verkauft.
Unmittelbar nach Abschluss der Kapitalerhöhung beschloss der Verwaltungsrat der Bank am 21.12.2012 eine Änderung des Systems beim Aktienhandel: es wurden Höchstgrenzen für den Verkauf der Aktien eingeführt, und man konnte mit einem Verkaufsauftrag maximal 500 Aktien verkaufen. Dies sagt wohl einiges über die Bank aus: nach einem freundlichen „Hereinspaziert!“ wurde praktisch die Tür hinter den Aktionären abgesperrt, um deren Verbleiben sicherzustellen. Dies zog nicht nicht nur den mehr als halbierten, heutigen Wert der Aktien nach sich, sondern führte auch dazu, dass die Aktien nur schwer liquidierbar sind, und man bei Verkauf schwere Verluste erleidet, mit allen entsprechenden Nachteilen und Einschränkungen für die Aktienbesitzer.
Der Kernpunkt ist jedoch ein anderer.
Die Verbraucherzentrale Südtirol hat den Informationsprospekt der Kapitalerhöhung von 2012, über welchen der Verkauf der Aktien an die SparerInnen erfolgte, einem unabhängigen Analysten und RA Massimo Cerniglia zur Untersuchung übergeben. Bei dieser Überprüfung wären schwerwiegende Unregelmäßigkeiten und Nichterfüllungen von Seiten der Sparkasse im Rahmen der Platzierung ans Licht gekommen.
Im Prospekt selbst würden einige für eine bewusste Anlageentscheidung absolut relevante Informationen fehlen.
Erstens steht auf Seite 15 des Prospekts: „Das letzte Rating über die mittel/langfristigen Einlagen, das der ausgebenden Gesellschaft am 14.05.2012 von Moody's Investor Service erteilt wurde, ist Ba1 (sub investment grade) mit negativem Ausblick“. Was im Prospekt nicht steht, ist dass die Sparkasse seit Anfang 2012 ein Rating von Baa2 hatte (mittlere Qualität), welches dann im Mai um zwei Levels abgesenkt wurde, womit sich die Bewertung auf einem „spekulativen“ Level ergab. Diese wichtige Information über den objektiv negativen Trend der Südtiroler Sparkasse wurde dem Markt nicht gegeben.
Zweitens wurde der wesentliche Einfluss, den die hohe Verschuldung der Raetia SGR (die zu 97,80% der Sparkasse gehört) auf die Vermögenssituation der Sparkasse hat, verschwiegen.
Diese Unterlassung ist besonders schwerwiegend, wenn man berücksichtigt, dass die kritischen Situationen der kontrollierten Gesellschaft bereits seit 2012 in der Bilanz der Sparkasse ihren Niederschlag fanden – die Sparkasse hätten diese Situation also im Prospekt offenlegen müssen, was jedoch nicht geschehen ist.
Nach Meinung der VZS sind diese Unterlassungen äußerst schwerwiegend. Der Art. 173 des Finanzeinheitstextes lässt keine Zweifel: „Wer in der Absicht, sich oder anderen einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, in den für öffentliche Angebote oder Zulassung zu quotierten Märkten erforderlichen Prospekten der Finanzprodukte, oder in den Dokumenten welche anlässlich von öffentlichen Tausch- oder Kaufangeboten veröffentlicht werden müssen, mit der Absicht, die Adressaten des Prospekts zu täuschen, falsche Informationen gibt oder Daten oder Nachrichten verschweigt, auf eine Weise, die geeignet ist, genannte Adressaten in die Irre zu leiten, wird mit einer Gefängnisstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft“².
Die Berater der Verbraucherzentrale haben auch noch weitere, schwerwiegende Unregelmäßigkeiten gefunden.
Seit 2008 hat die Südtiroler Sparkasse den Finanzberatungsdienst auf die gesamte Retail-Kundschaft ausgedehnt. Im Rahmen des Beratungsdiensts für Finanzdienstleistungen ist die vermittelnde Bank verpflichtet, die sog. „Geeignetheit“ („adeguatezza“) der Bewegungen zu bewerten. Im Sinne von Art. 40 des Consob-Reglements von 2007 müssen die Vermittler, anhand der von den KundInnen gelieferten Informationen und unter Berücksichtigung der Eigenschaften des geleisteten Dienstes, sicherstellen dass eine im Rahmen der Dienstleistung der Portfolio-Verwaltung angeratene oder getätigte Bewegung folgende Kriterien einhält:
a) entspricht den Anlagezielen des Kunden;
b) der Kunde ist finanziell in der Lage, jedes mit der Geldanlage verbundene Risiko zu tragen, vereinbar mit seinen Anlagezielen;
c) der Kunde hat die notwendige Erfahrung und Kenntnis, um die mit der Bewegung oder der Portfolio-Verwaltung verbundenen Risiken zu verstehen.³
Da die Sparkasse im Rahmen der Finanzberatung tätig war und ist, müssen diese Normen eingehalten werden, und daher war sie bei Handel und Platzierung der Titel verpflichtet, die Geeignetheit zu überprüfen.
Für die Platzierung der eigenen Aktien bei Kunden mit niedrigem oder mittel-niedrigem Risikoprofil fiel die Bewertung der Geeignetheit negativ aus, daher ließt man in den persönlichen Empfehlungen, welche die Sparkasse den Kunden aussprach, diese sollten den Kauf der Aktien „meiden“; die Gründe für diese Empfehlung wurden jedoch nicht ausgeführt, und diese Empfehlungen wurden den KundInnen auch nicht als Bestätigung der Kenntnisnahme zur Unterzeichnung vorgelegt.
Zeitgleich mit der Ausgabe der Empfehlung, den Kauf zu meiden, hat die Sparkasse den Auftrag zum Kauf der Titel ausgefertigt; auf den Aufträgen ließt man „Auftrag direkt vom Kunden erteilt“, sodass die Verkäufe als „Execution only“-Geschäfte getätigt wurden, welche die KundInnen nur in stark eingeschränkten Maß schützen, wobei jedenfalls eine unzulässige Bewertung der mangelnden Angemessenheit („inappropriatezza“) der Wertpapiere für die Kunden vorgenommen wurde.
Hierbei ist anzumerken, dass viele Aktionäre berichten, überhaupt keine Kenntnis davon zu haben, dass sie einen expliziten Auftrag zur Durchführung dieser Bewegung erteilt hätten, obschon man ihnen geraten hatte, die Bewegung zu „meiden“.
Solcherart konnte die Sparkasse die Bewegungen von den einzelnen Aktionären durchführen lassen, trotz gegenläufiger festgestellter und festgehaltener Unangemessenheit, die sich in der Empfehlung „meiden“ niederschlägt.
Diese Vorgehensweise ist offensichtlich widerrechtlich, nicht korrekt und hebelt die bestehenden Normen aus, und zwar insbesondere aus folgenden Gründen:
Laut Art. 39 und 40 des Consob-Reglements Nr. 16190/2007, welches die MiFID 1 Richtlinie umsetzt, können „ungeeignete“ Bewegungen in keinem Fall vom Vermittler durchgeführt werden – das vorhergehende Reglement (Nr. 11522/1998, Art. 29) erlaubte dies. Somit genießen heute die KundInnen den höchsten Schutzgrad: der verfassungsgemäße Schutz des Ersparten überwiegt sogar über deren ausdrücklich festgehaltenen Willen⁴. Wenn also diese neuen Artikel verlangen, dass der Finanzvermittler den ausdrücklichen Willen des Kunden nicht ausführen darf, ist es auch nicht vorstellbar, dass der der Kunde auf die Schutzmechanismen im Rahmen des Beratungsdiensts verzichten darf und selbst die Durchführung der Bewegung verlangen darf, wie es andererseits in vielen der untersuchten Fälle vorgekommen ist.
Mit einer solchen Strategie werden die Art. 39 und 40 des Reglements von 2007 offensichtlich umgangen, wobei auch die Vorgaben des Art. 21 des Finanzeinheitstextes verletzt werden. Dieser besagt, dass der Vermittler sorgfältig, korrekt und transparent handeln muss, um den „Rechten des Kunden und der Integrität der Märkte bestmöglich gerecht zu werden“⁵. Dies kann im Extremfall bedeuten, dass die Geschäftsbeziehung zum Kunden aufgelöst werden muss, wie der Kassationsgerichtshof vor kurzem in einer von RA Cerniglia betreuten Streitsache feststellte (Urteil Nr. 16828/16).
Es ist ebenfalls klar, dass es nicht im besten Interesse der KundInnen ist, ein nicht geeignetes Finanzprodukt zu erwerben, es jedoch im kommerziellen Interesse der Sparkasse ist, stets die eigenen Wertpapiere, vor allem die Aktien, zu verkaufen – auch an KundInnen mit niedriger oder vorsichtiger Risikoneigung.
Ein solches Vorgehen könnte schlimmstenfalls noch durchgehen, wenn es sich um einen einzelnen Sonderfall handelte (obschon es auch dort nicht rechtskonform wäre). In Bezug auf die Südtiroler Sparkasse scheint es sich jedoch fast um eine allgemein gültige, im Vorfeld festgelegte Standard-Prozedur gehandelt zu haben, die sicherstellen sollte, dass die eigenen Aktien verkauft würden, auch und vor allem an SparerInnen mit niedriger oder mittel-niedriger Risikoneigung, welche daraus folgend keine illiqiuden und hochriskanten Wertpapiere - wie es die bankeigenen Aktien sind – hätten kaufen können und sollen.
In der Folge dieses Vorgehens haben tausende SparerInnen, KundInnen der Sparkasse, auch bis zu 50% ihrer Ersparnisse verloren – mit besten Grüßen an den Schutz, den die Verfassung in Art. 47 dem Ersparten zusichert.
In einigen Fällen wurde den SparerInnen auch ein neues Risikoprofil ausgefertigt, kurz bevor die Platzierung der Aktien erfolgte. Auch dieses Vorgehen ist nicht akzeptabel, da das Risikoprofil dazu dient, nur angemessene und geeignete Bewegungen durchzuführen, und sicher nicht dem Risiko des Produkts angepasst werden darf, welches die Bank verkaufen möchte.
In Anbetracht des oben ausgeführten erwägt man in der VZS, ob die Voraussetzungen für eine Sammelklage („class action“), oder alternativ für Klagen von Sparergruppen gegen die Sparkasse bestehen, und auch ob die Börsenaufsicht aufgrund unterlassener Aufsicht belangt werden soll.
Der erste notwendige Schritt ist dass jene SparerInnen, die bei der Kapitalerhöhung 2012 Aktien gekauft haben, innerhalb 15. Oktober 2017 mit einem Schreiben die Verjährung unterbrechen, und Schadenersatz von der Sparkasse und der Consob verlangen. Die VZS stellt dazu ein Musterschreiben zur Verfügung. Der Brief muss per Einschreiben mit Rückantwort an die Sparkasse und die Consob, sowie per Normalbrief zur Kenntnis an die VZS und die Staatsanwaltschaft Bozen geschickt werden, damit diese eventuell in ihre Kompetzenz fallende Umstände überprüfen kann.
² Art. 73 TUF: Chiunque allo scopo di conseguire per se o per gli altri un ingiusto profitto, nei prospetti richiesti per l’offerta al pubblico di prodotti finanziari o l’ammissione alla quotazione nei mercati regolamentati, ovvero nei documenti da pubblicare in occasione delle offerte pubbliche di acquisto o di scambio, con l’intenzione di ingannare i destinatari del prospetto, espone false informazioni od occulta dati o notizie in modo idoneo a indurre in errore i suddetti destinatari, è punito con la reclusione da uno a cinque anni.
³ Art. 40 (Valutazione dell’adeguatezza)
1. Sulla base delle informazioni ricevute dal cliente, e tenuto conto della natura e delle caratteristiche del servizio fornito, gli intermediari valutano che la specifica operazione consigliata o realizzata nel quadro della prestazione del servizio di gestione di portafogli soddisfi i seguenti criteri:
a) corrisponda agli obiettivi di investimento del cliente;
b) sia di natura tale che il cliente sia finanziariamente in grado di sopportare qualsiasi rischio connesso all’investimento compatibilmente con i suoi obiettivi di investimento;
c) sia di natura tale per cui il cliente possieda la necessaria esperienza e conoscenza per comprendere i rischi inerenti all’operazione o alla gestione del suo portafoglio.
⁴ Vgl. Annunziata, La disciplina del mercato mobiliare
⁵ Art. 21, Testo Unico Finanziario:
(Criteri generali) 1. Nella prestazione dei servizi e delle attività di investimento e accessori i soggetti abilitati devono: a) comportarsi con diligenza, correttezza e trasparenza, per servire al meglio l’interesse dei clienti e per l’integrità dei mercati; (...)